Einmal unterrichtete Brian McLaren an einem theologischen Seminar ein Blockseminar. Er begann damit, die Studierenden in einen Gedankengang zu nehmen: Angenommen, Brian wäre einer der Menschen, die in der Nähe des Seminars wohnten – vielleicht ein Muslim oder ein Hindu – welche Frage bezüglich der Studierenden würde ihn wohl umtreiben? Er meinte, es wäre die Frage, ob es irgendwelche Umstände gäbe, unter denen diese Studierenden im Namen ihres Gottes oder aufgrund der Autorität der Bibel bereit wären, seine Frau, Kinder, Eltern, ihn selber – oder Ungläubige, Heiden und Ungerettete zu töten. Würden sie die Genozid-Karte im theologischen Portemonnaie lassen?
Es sei nicht so sehr von Interesse, was Menschen glauben, es ist von Interesse, ob sie für ihre Überzeugungen töten würden. Brian meinte, wenn die Studierenden nicht herausgefunden hätten, was sie mit den gewaltbefürwortenden Texten der Bibel anfangen, dann hätten sie noch wichtige Arbeit vor sich. Ihre Bibel sei ansonsten eine geladenen Waffe und ihre Theologie eine Lizenz zum Töten. Sie müssten einen Weg finden, die Bibel zu entwaffnen. Sie müssten die christliche Religion von einer Kriegsreligion zu einer Versöhnungsreligion umwandeln.
Schließlich meldete sich ein Studierender und sagte: „Wenn etwas im Wort Gottes steht, dann müssen wir es unter allen Umständen in unserem Portemonnaie lassen – auch dann, wenn es Gott als gewaltvoll darstellt. Wenn die Bibel Gott als gewaltvoll offenbart und wenn Gott uns zur Gewalt aufruft, dann würde das eine heilige Gewalt sein und deswegen würde ich dies mit meinem Leben verteidigen“.
Brian bedankte sich für die Ehrlichkeit und für die daraus entstandene Möglichkeit, dass die Anwesenden tiefer über das Verhältnis von Christentum und Gewalt nachdenken könnten.
Diese Geschichte hört sich krass an. Und ja, sie treibt das Problem der Gewalt ziemlich auf die Spitze. Aber Gewalt hat viele Facetten. Psychische Gewalt. Strukturelle Gewalt. Symbolische Gewalt. Ich meine, dass es oft nicht um das Töten geht. Aber in abgestufter Form geht es oft darum, dass Religion auch heute im Westen Gewalt legitimiert. Ich denke, dass das immer der Fall ist, wenn im Namen Gottes eine Vorherrschaft des Mannes geglaubt oder faktisch umgesetzt wird, rassistische Strukturen übernommen werden, wo die LGBTQ-Community ausgegrenzt wird oder auch Klassizismus prägend wirkt. Und darüber sollte geredet werden.