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Stellvertretung

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Gottes Stelle offen halten

Dorothee Sölle unterscheidet in ihrem gleichnamigen Buch „Stellvertretung“ von „Ersatz“. Ist ein*e Mitarbeiter*in im Urlaub, braucht man eine Vertretung. Diese übernimmt die Aufgaben der zu vertretenden Person, jedoch nur auf Zeit und daher unvollständig. Das Ziel ist es, die Stelle offen zu halten, bis der Urlaub zu Ende ist und die Vertretung daher unnötig wird. Der Ersatz macht den Mitarbeitenden jedoch überflüssig. Ist jemand ersetzt worden, dann ist wohl eine Kündigung im Spiel.

Diese Unterscheidung ist für Sölle nun theologisch relevant. Beispielsweise zeigt sie, inwiefern Jesus unser Stellvertreter geworden ist. Anders als in der klassischen Sühnetheologie, in der Jesus die Strafe Gottes für die Sünden der Menschen übertragen und schließlich übernommen hat, sieht sie in Jesu Stellvertretung ein „Offenhalten“, damit Gott uns nicht kündigen muss.

Sie sieht den Menschen als von sich entfremdet. Wir Menschen sind nicht das, was wir sein könnten und sollten. Bis wir jedoch unseren Weg gefunden haben und unseren Platz in der Geschichte eingenommen haben, vertritt uns Christus vor Gott. Allerdings ist Jesus kein Ersatz. Seine Stellvertretung ist auf Zeit, sie erwartet unsere Rückkehr. Damit ist Jesu Werk nicht in der Kategorie der Perfektion anzusiedeln, als müsse und könne dem nichts mehr folgen. Auch ist Stellvertretung nicht nur auf den Kreuzestod bezogen. Es ist die Lebenshingabe, das gesamte Sein für uns. Und dabei ist es eine Einladung zum Werden: Stellvertretung lädt uns ein, alles zu werden, was wir sein können.

Dann bringt Sölle eine ungewöhnliche Wendung. Jesus vertritt nicht nur die Menschen vor Gott, Jesus vertritt auch Gott vor den Menschen. Für Sölle ist der „Tod Gottes“ die zentrale Herausforderung der Theologie. Mit dem Tod Gottes meint sie eine gesellschaftliche Entwicklung der letzten gut 200 Jahre, in der sich im Bewusstsein des Westens etwas verändert hat. Gott ist für weite Teile der Gesellschaft nicht mehr notwendig, um die Welt zu erklären und das eigene Leben zu gestalten. Gott ist nicht mehr selbstverständlich, Gott ist  überflüssig geworden.

Die Rede vom Tod Gottes ist jedoch nicht dasselbe, wie ein Atheismus. Denn Tod bedeutet hier für Sölle, dass jemand jemandem stirbt. Es muss eine Beziehung gegeben haben. Trauer und Verlust. Für sie ist dieser Schmerz des Todes Gottes darin begründet, dass unsere Wirklichkeit von der Unwirksamkeit Gottes geprägt ist. Das zeichnet das Lebensgefühl unserer Zeit für Sölle aus. Ihre „Theologie nach dem Tode Gottes“ versucht an diesem Lebensgefühl anzusetzen und zu fragen, wie es für den christlichen Glauben nun weitergehen kann.

Sie meint, dass unsere Gesellschaft für viele Dinge Ersatz gefunden hat, die früher Gottes Job waren. Und Gottes Ersatz funktioniert ziemlich gut. Gott ist arbeitslos? Jedoch ist der Gottesersatz Lückenhaft. Wir stecken in einer absurden Situation zwischen Sinnlosigkeit und Sinnverlangen. Daher ihre These: Gott muss vertreten werden. Ja, Gott kann in dieser Welt nicht unmittelbar erfahren werden, aber diesem jetzt abwesenden Gott muss seine Stelle offen gehalten werden. Gott muss die Zukunft offen gehalten werden. Und das passiert immer da, wo Menschen an der Stelle Gottes handeln und leiden. Gott Zeit lassen, damit Gott erscheinen kann. Aber bis dahin braucht Gott unsere Hilfe.

Für Sölle ist es wichtig, dass Gott nicht ersetzt wird. Sie sieht hier einen Zusammenhang mit der Ersetzbarkeit von Menschen. Denn für Sölle hat Gott sehr viel mit dem noch nicht verwirklichten Möglichen zu tun. Wir könnten mehr sein. Mir wir selbst. Wir brauchen Gott, damit uns eine andere Zukunft offen gehalten wird.

 

 

 


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